022 Resilienz stärkende Authentizität

Authentizität ist eine Kraft!

Was beutet Authentizität?

Der Begriff ist aus dem griechischen „authentikós“ abgeleitet und bedeutet „echt“. Das bildungssprachliche Substantiv Authentizität bedeutet „Echtheit“ oder „Glaubwürdigkeit“. Es bezeichnet die Eigenschaft einer Sache, Person, Gegend oder Organisation, „als Original befunden“ zu sein. Diese Wertung kann einfach auf einem Gefühl beruhen oder Ergebnis einer formalen Prüfung (einer Authentisierung) sein. Diese rein sachliche „Übersetzung“ des Begriffs enthält also noch keine Wertung über den „Inhalt“ der Authentizität. Ein Choleriker kann genauso authentisch sein wie ein sanftmütiger Mensch, ein streitlustiger Mensch genauso authentisch wie ein friedliebender.

Menschen Lupe

Es ist daher nicht verwunderlich, dass Authentizität im Sprachgebrauch nicht eindeutig positiv oder negativ besetzt ist, es kommt – wie so häufig – auf den Kontext und die persönlichen Erfahrungen an.

Im Vorfeld zu diesem Blogbeitrag habe ich unterschiedliche Menschen befragt, was sie unter dem Begriff verstehen. Die Antworten reichten von ehrfürchtiger Anerkennung und Bewunderung für Personen, die authentisch sind, weil sie „ganz bei sich sind und zu sich stehen“ bis zu Ablehnung, weil „das doch nur ein Deckmäntelchen ist, um ungebremst sein Ego auszuleben“.

Was verbindest du mit dem Begriff „Authentizität“?

 

Wer bestimmt ob eine Person authentisch ist?

Es gibt keine verbindliche Messgröße für die Authentizität von Personen. In der Betrachtung unterscheiden wir die Außen- und Innensicht, also wird die Person von anderen als authentisch eingeschätzt und wie sieht bzw. empfindet sie sich selbst.

Einer Person, die wir, im positiven Sinne, als authentisch einstufen, ordnen wir gerne Attribute wie die folgenden zu: stimmig, klar, glaubwürdig, selbstsicher, bei sich angekommen, in sich ruhend, berechenbar, dauerhaft echt ...

Ein Mensch, der sich selbst als authentisch wahrnimmt, empfindet eine hohe Übereinstimmung in seinem Fühlen und Handeln, d. h. in den Dingen, die ihm wichtig sind, die ihn ausmachen und dem, wie er agiert, dem Bild, das er nach außen abgibt. Er empfindet eine hohe persönliche Stimmigkeit.

Exkurs: Was sagen die Kritiker?

Die Frage „Wer bin ich?“ beschäftigt die Menschheit bereits seit vielen Tausend Jahren. Vor 2.500 Jahren stand bereits in dem Apollotempel in Delphi die Inschrift: „Erkenne dich selbst.“ Der Kontext dieser Aufforderung hat sich über die vielen Jahre verändert. Hat der Mensch sich damals als Teil einer größeren, kosmischen Ordnung empfunden und war das Bestreben zu erkennen, welchen Platz und Aufgabe man in dieser Ordnung einnehmen sollte, geht es heute eher um den individuellen Blick auf die eigene Person und Nutzen für das eigene Leben hieraus zu ziehen.

Genau hier setzen die Kritiker an. Es ist unstrittig, dass wir vor diesem Hintergrund der Frage „Wer bin ich, was macht mich aus, was will ich ...“  in der Gegenwart weitaus mehr Beachtung schenken als in der Vergangenheit. Die Vielzahl der Lebensratgeber in Buchform und Personen um uns herum ;-) tragen dem Rechnung. Die Nachfrage ist groß. Fand Google beispielsweise vor 10 Jahren ca. 1 Mio. Treffer zu dem Begriff „Authentizität“ sind es heute 12,7 Mio.

Besteht also die Gefahr, dass wir über die Beschäftigung mit unserem „Ich“ die Außenwelt vergessen, dass wir uns nur noch um uns selbst drehen und blind werden für die eigentlichen Aufgaben, die das aktuelle Weltgeschehen uns stellt? Kritiker setzen dies mit einer „Ich-Inszenierung“ gleich, die weit entfernt von fachlich fähigen Menschen ist, die persönlich integer und global verantwortlich handeln. Sie sehen die Gefahr u. a. in der Übertreibung der Selbstbezogenheit und dem Bestreben, einem gewünschten Bild zu entsprechen, das der Gleichheitsnorm der gesellschaftlichen Mitte Rechnung trägt. Widerspruchsgeist, Verantwortung, Erwachsensein und Unangepasstheit würden dem geopfert, befürchten sie.

Entengruppe

Spannend wird es jetzt, denn genau diese Kriterien sprechen Wissenschaftler den Menschen zu, die sich mit ihren Werten, Motiven, Beweggründen, Stärken, Schwächen ... beschäftigt haben. Sie haben einen inneren Kompass, erkennen, was ihnen wichtig ist und wofür sie einstehen möchten. Sie schöpfen Kraft und Orientierung aus sich heraus. Erst durch Selbstreflexion sind wir in der Lage, unser Handeln bewusst zu erleben und zu beeinflussen.

Und mit diesem Potenzial wollen wir uns hier weiter beschäftigen.

Fällt Authentizität vom Himmel?

Leider nein ;-) Unser „Ich“ ist kein statisches Element, sondern im Einklang mit unserer Entwicklung Anpassungen unterworfen.

Menschen stellen ihre Identität etwa alle 20 Jahre infrage und justieren sie neu. Neue Erfahrungen beeinflussen und formen das Selbst.

  • In der Pubertät (12–18 Jahre) wird die erste große Identitätskrise durchlebt,
  • in den Erwachsenenjahren (35–40 Jahre) findet eine kritische Selbstüberprüfung statt,
  • im frühen Alter (55–60 Jahre) wird das bis dahin wahrgenommene Selbstbild neu justiert und
  • im Alter (75 Jahre plus) steht die Frage an, ob man sich mit seinem Selbst aussöhnen und es akzeptieren kann.

Impulse für Veränderung finden sich also nicht nur in der Pubertät, sondern durchaus auch im höheren Alter. Wir reifen und entwickeln uns und verkennen doch häufig unser Inneres. In einer guten Verbindung mit sich selbst zu sein, hilft, die verschiedenen Stationen gut zu meistern und eher kleine, stetige Entwicklungsschritte zu realisieren, statt von der berühmten Midlife-Crisis zum Hinschauen gezwungen zu werden.

Die Authentizitätsforscher Michael Kernis und Brian Goldman aus den USA unterscheiden vier Komponenten, die es braucht, damit wir uns authentisch erleben können:

  • Wir sind uns unserer Motive, Gefühle, Wünsche und selbstbezogenen Gedanken bewusst. Hierzu gehören unsere Stärken aber auch die weniger ausgeprägten Fähigkeiten und das Wissen, wie sie unser Verhalten beeinflussen.
  • Wir sind objektiv in eigener Sache, d. h. wir verzichten darauf, unser Selbstbild zu schönen oder unangenehmes Feedback zu verleugnen oder zu verzerren.
  • Wir sollten in Übereinstimmung mit unseren Werten, Prioritäten und Bedürfnissen bewusst agieren, auch wenn das anderen nicht gefällt oder wir uns Nachteile einhandeln.
  • Wir sollten in unseren Beziehungen möglichst wahrhaftig sein. Andere sollten eine Chance haben, unsere guten aber auch die weniger guten Seiten kennenzulernen. Wir sollten ihnen nichts vorspielen.

Frau mit Megaphon

 

Authentizität und Resilienz

All die oben genannten Komponenten sind Unterpunkte der Resilienz-Säule Selbstwirksamkeit (s. auch Blog 008). Roswitha hatte dir in diesem und weiteren Blog-Beiträgen bereits erläutert, dass ein gesundes Selbst-Bewusst-Sein unsere seelische Widerstandskraft stärkt.

Uns unserer Stärken, Schwächen, Bedürfnisse, Motive, Motivatoren, Überzeugungen bewusst zu sein, gibt Orientierung in Krisen, aber auch in einer Welt, in der so vieles im Umbruch ist und infrage gestellt wird. Bist du dir bewusst, wo du bereit bist, Kompromisse zu machen und wo du ganz klar Stellung beziehen willst?

Authentizität ist in den Augen der Existenzialphilosophen Heidegger bis Sartre eine Einstellung zum Leben, deren Merkmal der Mut zu Entscheidungen ist. Wenn du weißt, was dir wichtig ist, fällt es dir leichter, Entscheidungen zu treffen. Ob du sie immer so treffen wirst, wie dein innerer Kompass sie dir eingibt, hängt von deiner Einschätzung der Umstände und Priorisierung ab.

Natürlich können wir nicht immer ungehemmt unseren eigenen Werten und Wünschen entsprechen. Darum geht es auch gar nicht. Es geht darum, dass du deine Motive kennst und deine Entscheidungen bewusst und verantwortlich triffst – verantwortlich dir selbst, aber auch deinem Umfeld gegenüber. Du wirst einmal einen Kompromiss eingehen und ein anderes Mal deine Sache verteidigen. Wir haben uns daran gewöhnt, dass uns täglich ein gewisses Maß an Selbstverleugnung abverlangt wird. Aufmerken solltest du dann, wenn dir klar wird, dass du viel häufiger Kompromisse machst, als deinen Überzeugungen entsprechen zu können. Das könnte ein Indiz sein, dass das Umfeld, in dem du dich bewegst, nicht gesund für dich ist.

Die Sozialpsychologen Kernis und Goldmann haben die Vorteile eines authentischen Lebensstils ermittelt:

  • Authentische Menschen sind seelisch stabiler. Sie entwickeln bessere Strategien, Probleme und Konflikte zu bewältigen.
  • Authentische Menschen sind mit ihren Beziehungen zufriedener.
  • Authentische Menschen haben ein stabiles Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen. Dadurch fällt es ihnen leichter, ihre Ziele zu definieren und zu erreichen.

 

Wo liegt die Grenze zwischen Authentizität und Egoismus?

Es klang oben bereits an. Authentizität kann durchaus einen negativen Beigeschmack bekommen, wenn unreflektiert ausgelebt wird, was als authentisch empfunden wird. Es ist ein hohes Gut, dass wir positive Freiheiten haben, also die Dinge verfolgen können, die uns am Herzen liegen. Grenzen sind aber spätestens dort erreicht, wo das Ziel eines Einzelnen, „das eigene gute Leben zu leben“ andere Menschen in ihrem Bestreben „ein gutes Leben zu leben“ beeinträchtigt.

Und genau hier kommt die Eigenverantwortung ins Spiel. „Authentizität ist in aller Regel die reflektierte Anwendung innerer Überzeugungen und Werte in unterschiedlichsten Situationen. Nur eine Authentizität, die auf Selbsterkenntnis gründet, kann die Balance zwischen kluger Anpassung und Überzeugungstaten, zwischen Diplomatie und Bekenntnisdrang meistern, ohne das wahre Ich dabei zu verraten. Authentizität beweist sich dann, wenn es ans Eingemachte geht, an die Grundüberzeugungen.“*

Authentizität ist nicht der Freibrief für Rücksichtslosigkeit!

Wie authentisch lebst du?

Passt das Leben, das du führst, zu dir? Passen die Entscheidungen, die du getroffen hast, zu dir? Kannst du dein Leben bejahen, auch wenn es einmal Schwierigkeiten zu bewältigen gibt? Fühlt sich das, was du tust, stimmig für dich an?

nachdenkliche Frau

Solltest du bei der Beantwortung dieser Fragen ein eher mulmiges Gefühl haben, macht es ggfs. Sinn, einmal näher hinzuschauen, welche deiner Bedürfnisse und Werte in deinem heutigen Leben zu wenig Raum finden.

Beobachte deine Emotionen in verschiedenen Situationen. Gefühle zeigen uns, was uns wirklich wichtig ist, wofür unser Herz schlägt. Wann fühlst du dich lebendig? Wann empfindest du Freude? Wofür möchtest du einstehen? Wo entwickelst du Energie?

Manchmal sind es aber gerade die negativen Gefühle, die uns auf die Spur bringen: Angst, Kraftlosigkeit, Schwermut, Neid, Aggression, Wut... weisen in der Regel darauf hin, dass bestimmte Bedürfnisse oder Werte verletzt wurden.

Hier einige Fragen, die du dir in diesem Zusammenhang konkret beantworten kannst:

  • Was sind die Dinge, die ich nicht mehr will?
  • Was will ich stattdessen?
  • Warum will ich das? Was verspreche ich mir davon? Welches Bedürfnis könnte dahinterstehen?
  • Was müsste passieren, damit dieses Bedürfnis erfüllt wird?
  • Was wäre der erste Schritt zum Ziel?

Authentizität ist, wie du siehst, ein komplexer Anspruch und viele kleine Puzzlesteine bilden die Basis für diese stimmige Wirkung aus innerer Haltung und Ausdruck. Ich hoffe, wir haben dich motivieren können, „am Ball zu bleiben“ und dich und deine Beweggründe immer wieder aufs Neue zu erforschen. Es lohnt sich!

„Wenn innere Gefühle und Überzeugungen einen stimmigen Ausdruck im äußeren Leben finden, können wir Erfüllung erlangen.“ (Prof. Dr. Michael Bordt)

Ich wünsche dir viele erfüllte, Resilienz stärkende Momente in deinem Leben!

Astrid
                                                     

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# Blog 22 Resilienz stärkende Authentizität

*Quelle: Psychologie heute 43254

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Bildnachweis pixabay: Andre Mouton, Gerd Altmann, G.C., Dean Moriarty, Anja

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